Chaos V : Billard

duhems Stier

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Um eine so komplexe Frage wie die nach der Bewegung der Himmelskörper anzugehen, ist es zunächst vernüntig ein etwas einfacheres System zu betrachten. So scheint die Bewegung einer reibungsfrei rollenden Kugel in einer Schüssel nicht allzu schwer zu verstehen zu sein. Etwas ganz anderes ist es, wenn die Schüssel einige Beulen aufweist. Die Bewegung einer rollenden Kugel wird dann sehr kompliziert.

 

Anfang des 20ten Jahrhunderts beschrieb der Wissenschaftsphilosoph Pierre Duhem (1861-1916) sehr bildhaft eine Arbeit, die der Mathematiker Jacques Hadamard (1865-1963) 1898 unter dem Titel "Über geodätische Flächen mit entgegengesetzten Krümmungen" veröffentlicht hatte. Duhem sprach von einem Ball, der reibungsfrei auf der Stirn eines Stieres mit unendlich langen Hörnern rollt. Was für eine seltsame Idee!

In diesem Kapitel versuchen wir zunächst Hadamards Ideen mit einem etwas vereinfachten Beispiel zu erklären, das aber auch Ähnlichkeiten mit Geodäten auf Oberflächen aufweist. Ein Billard Spiel auf dem sich in der Mitte ein kreisrundes Hindernis befindet. Zwei Kugeln werden schnell sehr unterschiedliche Wege nehmen, wenn sie mit dem runden Hindernis kollidiert sind, auch wenn sie auf ähnlichen Wegen angestoßen wurden.

 

Wir nehmen nun einen reibungsfreien Tisch mit drei kreisförmigen Hindernissen, A, B und C, die in einem Dreieck angeordnet sind. Für jedes Wort mit diesen drei Buchstaben existiert eine Bahnkurve, die den Ball in genau der Reihenfolge des Wortes hin und her springen lässt. (Wiederholungen wie AA sind dabei selbstverständlich nicht erlaubt.)

Hier ein Teil von Duhems Beschreibung eines Objektes, das uber den Stierkopf gleitet:

« Es gibt geodätische Linien, die in sich selbst zurückkehren. Weiter gibt es solche, die nie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren, sich aber auch niemals unendlich weit von ihm entfernen. Die einen winden sich unaufhörlich um das rechte Horn, die anderen um das linke [...] Wieder andere, die viel komplizierter sind, beschreiben Windungen, die sie nach bestimmten Regeln um eines der Hörner ausführen, abwechselnd mit solchen um das andere Horn [...] Schließlich gibt es auf der Stirn unseres Stieres [...] geodätische Linien, die sich ins unendliche erstrecken, wobei die einen das rechte Horn, die anderen das linke [...] erklimmen.  »

Zwei geodätische Linien die in fast der gleichen Richtung beginnen, können ziemlich unterschiedliche Wege nehmen. Duhem sagt dies so:

« Wenn ein materieller Punkt auf der Oberfläche mit geometrisch gegebener Position und geometrisch gegebener Geschwindigkeit startet, kann die Mathematik folgern ob sich der Punkt ins Unendliche entfernt oder nicht. Für den Physiker aber ist diese Folgerung für immer unbrauchbar. »

Achte auf die Feinheiten: die Geodäte kann mathematisch bestimmt werden, ist für den Physiker aber nutzlos.

Es liegen mitunter Welten zwische Theorie und Praxis!

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